Interview von Taina Bofferding im Tageblatt

"Keine Schonfrist für Täter"

Interview: Tageblatt (Marco Goetz)

Tageblatt: Fällt Ihnen zu Hause die Decke nicht manchmal auf den Kopf?

Taina Bofferding: Nein. Ich arbeite teilweise ja auch im Home-Office, habe aber auch dort, dank der technischen Möglichkeiten, Kontakt zu anderen Menschen und einen regen Ideenaustausch.

Tageblatt: Einige Menschen aber spüren diese Enge. Sie müssen oder sollen zu Hause bleiben. Als Familie in einer kleinen Wohnung. Zu Hause bleiben und sich in gewissen spannungsgeladenen Situationen aus dem Weg zu gehen, ist aber gerade jetzt oft kaum möglich. Daraus entstehen vielleicht Konflikte, die schwieriger zu vermeiden sind. Es wäre daher also nachvollziehbar, wenn es in dieser Zeit zu mehr Gewaltausbrüchen kommen würde. Ist dem so?

Taina Bofferding: Wenn wir uns rein auf die Zahlen konzentrieren, ist momentan kein wirklicher Anstieg der häuslichen Gewalt festzustellen. Im März dieses Jahres hatten wir 25 Fälle, die eine Wegweisung zufolge hatten. März 2019 waren es deren 22. Das ist wohl ein leichter Anstieg, aber jetzt nicht wirklich aussagekräftig. Wichtig ist aber, dass wir aufmerksam bleiben. Zahlen sind immer zu hinterfragen, auch weil wir davon ausgehen, dass sich Betroffene nicht in jedem Fall von häuslicher Gewalt melden. Sei es bei der Polizei noch bei einer Beratungsstelle. Eben deshalb ist es wichtig, wachsam zu bleiben und dafür zu sorgen, dass alle Hilfsprogramme, besonders in der jetzigen Situation, gut funktionieren und dass Menschen, die Hilfe suchen und brauchen, diese auch wirklich bekommen.

Tageblatt: Haben die politisch Verantwortlichen ein Bewusstsein dafür, dass der Ausnahmezustand ein erhöhtes Risiko für häusliche Gewalt darstellt? Was größer wird, je länger die Krise dauert?

Taina Bofferding: Man kann davon ausgehen, dass die aktuelle Situation die Sache nicht besser macht. Wir sind deshalb als Gleichstellungsministerium in engem und regelmäßigem Kontakt mit der Staatsanwaltschaft und der Polizei sowie mit all unseren sozialen Hilfsdiensten, um eben die Situation vor Ort und deren Entwicklung ganz genau zu beobachten. Unser Anspruch ist es, Aufmerksamkeit zu schaffen, bestmöglich zu informieren und bestmöglich zu helfen.

Tageblatt: Funktionieren alle Hilfsdienste?

Taina Bofferding: Seit die "Bleift doheem"-Zeit losging, haben wir erste Maßnahmen beschlossen, nämlich in dem Sinne, dass wir garantieren können, dass es eine Kontinuität der Hilfsdienste gibt. Auch wenn die Art und Weise, wie sie arbeiten, etwas anders ist, bleiben diese Dienste voll operationell. Bereitschaftsdienste sind sowohl für die Opfer als auch für die Täter garantiert. Denn auch die Leute, die Ansätze eines aggressiven und gewalttätigen Handelns zeigen oder von denen eine Gefahr ausgehen könnte, sollen Hilfe bekommen, damit es dann eben hoffentlich nicht zu Schlimmerem kommt.

Tageblatt: Und im Bereich der Information?

Taina Bofferding: Wir haben alle, die bei Beratungsdiensten arbeiten, so informiert, dass sie über die Gesetzgebung zur häuslichen Gewalt genau im Bilde sind und genau wissen, an welche Stellen sie jemanden weiterorientieren sollen. Wir wollen auch Anzeigen schalten. Auf unserer Internetseite violence.lu haben wir zudem eine ganze Serie oft gestellter Fragen veröffentlicht, inklusive Antworten natürlich. Einfach auch um noch mal auf die Gesetzgebung hinzuweisen, die möglichen Hilfeleistungen und darauf, was als Schutz garantiert ist. Wir wenden uns zudem an das familiäre Umfeld oder an die Nachbarschaft. Dort wissen Menschen oft nicht, wie sie Zeichen häuslicher Gewalt einschätzen oder damit umgehen sollen. Auch da wollen wir aufklären und Unsicherheiten aus dem Weg räumen. Denn bei häuslicher Gewalt ist es wichtig, dass das Umfeld aufmerksam bleibt.

Tageblatt: Hat das Gesetz zur häuslichen Gewalt in dieser doch etwas ungewöhnlichen Zeit denn überhaupt seine volle Gültigkeit?

Taina Bofferding: Ja, auf jeden Fall. Das wollen wir unbedingt unterstreichen. Es muss absolut klar sein, dass es keine Schonfrist und kein Nachsehen für Täter gibt. Genauso klar muss sein, dass Opfer nicht im Regen stehen gelassen werden. Eigentlich muss man sagen, dass es gerade in einer Situation wie dieser darauf ankommt, dass das Gesetz in seiner ganzen Bandbreite greift und zum Beispiel der Polizei die Möglichkeit gibt, einzugreifen und den Schutz Betroffener zu garantieren.

Tageblatt: Sind Wegweisungen in diesen Zeiten denn genau wie sonst? Die Frage, wo jemand unterkommt, der als Täter(in) weggewiesen wurde, dürfte jetzt schwieriger zu beantworten sein? Zu Freunden kann er/sie ja wohl kaum gehen?

Taina Bofferding: Wenn sich keine Möglichkeit bietet, irgendwo anders unterzukommen, was in diesen Zeiten tatsächlich etwas schwieriger sein kann, dann geht diese Person in ein Hotel. Wichtig ist aber, dass eine Wegweisung gesprochen wird, dass die Prozedur läuft und dass der Betroffene dann nicht zurück ins gemeinsame Haus darf. Zumindest nicht für die Zeit, in der die Wegweisung gilt, also im Prinzip 14 Tage bis maximal drei Monate. Täter müssen sich in der Zeit bei einem der zuständigen Dienste melden. Dort wird die Lage bewertet und nach Lösungen gesucht, wie es weitergehen kann. Klar ist, dass es darum geht, Gewaltsituationen zu vermeiden.

Tageblatt: Ist die von Ihnen angesprochene Hilfe für die Opfer explizit im Gesetz so festgehalten und definiert?

Taina Bofferding: Ja. Das ist eben die Stärke unseres Gesetzes. Es besagt, dass Opfer ein Recht auf Hilfe haben. Sowohl die Erwachsenen wie auch die Kinder. Wir haben in diesem Bereich eines der strengsten Gesetze in ganz Europa. Und das ist gut so. Deshalb haben wir jetzt in der Krise auch keine neuen Maßnahmen treffen müssen. Das Regelwerk ist äußerst solide.

Tageblatt: Nur zur Klarheit: Die Wegweisung eines Täters wird nach wie vor von der Staatsanwaltschaft angeordnet?

Taina Bofferding: Ja, absolut. Die Polizei begibt sich vor Ort. Wenn genügend Indizien vorliegen, dann geht das weiter an die Staatsanwaltschaft und die Wegweisung wird gesprochen. Unausweichlich. Auch in diesen Zeiten.

Tageblatt: Das heißt auch die Kontrolle der Wegweisung funktioniert im jetzigen Ausnahmezustand?

Taina Bofferding: Ja. Das Thema wird uns auch in naher Zukunft sehr beschäftigen, deshalb haben wir eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt. Das war schon Ende letzten Jahres, um gemeinsam die Lage zu analysieren und gegebenenfalls koordiniert zu agieren, nach neuen Wegen zu suchen und Maßnahmen gegebenenfalls anzupassen.

Tageblatt: Da gehört die elektronische Fußfessel ja dann wohl dazu?

Taina Bofferding: Darüber reden wir auch. Wir fragen uns zum Beispiel, ob dieses Instrument im täglichen Gebrauch sinnvoll ist. Welche Erfahrungswerte dazu gibt es aus dem Ausland? Was könnte Luxemburg davon übernehmen?

Tageblatt: Wie behalten Sie als zuständige Ministerin den Überblick in dieser Situation?

Taina Bofferding: Eben durch unsere Beobachtungsstelle, die sich regelmäßig mit allen beteiligten Stellen austauscht. Die Situation wird dann bewertet und es kann zeitnah reagiert werden.

Tageblatt: Als Innenministerin haben Sie gerade jetzt viel mit den Gemeinden zu tun. Gibt es welche, die das Thema häusliche Gewalt etwas näher kennen?

Taina Bofferding: Bisher ist noch keine Gemeinde an mich herangetreten, um dieses Thema zu besprechen. Wir haben ja diverse Kontaktkanäle zwischen uns und den Gemeinden eingerichtet. Um häusliche Gewalt ging es da bislang nicht.

Tageblatt: Wie wird präventiv gehandelt? Wie wird dafür gesorgt, dass es in diesem Ausnahmezustand nicht zu häuslicher Gewalt kommen kann?

Taina Bofferding: Indem wir immer wieder und an verschiedenen Stellen darauf hinweisen, dass sich Opfer wehren können und dass Hilfe da ist, dass es Ansprechpartner gibt. Das ist das Wichtigste. Besonders jetzt. Wir haben unsere Internetseite se umgestaltet, dass man beim Anklicken sofort auf die Rubrik mit den häufig gestellten Fragen stößt Zudem versuchen wir, über die sozialen Medien zu sensibilisieren Es geht darum, ein möglichst breites Publikum zu erreichen und die Debatte um häusliche Gewalt aus der Tabuzone zu nehmen. Das ist uns über die Zeit der Krise hinweg ein wichtiges Anliegen.

Tageblatt: im Rahmen der Prävention kann sich also auch jemand, der in dieser Zeit des "Bleift doheem" befürchtet, seine Aggressionen nicht wirklich im Griff zu haben, und Angst hat, auszurasten, melden und um Hilfe bitten?

Taina Bofferding: Bei "Riicht eraus" kann sich jeder melden, der Hilfe benötigt, der sich informieren möchte und der das Bedürfnis verspürt, zu reden und sich auszutauschen.

Tageblatt: Haben die Anfragen bei dieser Stelle zugenommen?

Taina Bofferding: Nein, aber es gibt regelmäßig Personen, die sich dort melden, um gezielt Hilfe zu suchen.

Tageblatt: Was raten Sie denn Menschen, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind, in diesen Zeiten aber vielleicht davor zurückschrecken, die Polizei zu benachrichtigen?

Taina Bofferding: Sie können sich über Telefon oder E-Mail Hilfe holen. Oder wenn möglich direkt in eine Beratungsstelle gehen. Im akuten Fall wird ihnen aber kaum etwas Anderes übrigbleiben, als die Polizei zu rufen. Also die Nummer 113.

Tageblatt: Wie ist die Situation in den Frauenhäusern?

Taina Bofferding: Die sind belegt, wie sie eigentlich immer belegt sind. Letzter Stand ist, dass es verfügbare Plätze gibt. Aber auch hier haben wir für den Notfall vorgesorgt, nämlich, dass wir bei kompletter Auslastung der Frauenhäuser alternativ auf Hotels zurückgreifen können. In der Not kommt jeder unter. Wir versuchen das so unbürokratisch und so einfach wie nur irgend möglich zu regeln.

Tageblatt: Vielleicht noch mal: Wo genau findet man alle nötigen Informationen?

Taina Bofferding: Auf violence.lu. Die Seite ist sehr nutzerfreundlich eingerichtet. Alle Hilfeleistungen für Opfer und Täter sind dort mit Telefonnummern aufgelistet.

Tageblatt: Letzte Frage: Wann ist der Ausnahmezustand vorbei?

Taina Bofferding: Die Regierung ist dabei, sich Gedanken darüber zu machen, wie der Weg zurück in die Normalität in Etappen vollzogen werden kann. Dabei darf nicht aus den Augen verloren werden, wie sich das Virus entwickelt, wie die Lage in den Krankenhäusern ist und wie es unserem Gesundheitssystem geht. Alle diese Parameter hat die Regierung im Hinterkopf, wenn sie über mögliche Lockerungen nachdenkt.

 

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