Interview mit Taina Bofferding im Luxemburger Wort

"Fördern statt forcieren"

Interview: Luxemburger Wort (Marc Schlammes)

Luxemburger Wort: Taina Bofferding, nach längerem Stillstand kommt mit den Referenden in Grosbous/Wahl und Bous/Waldbredimus wieder Bewegung in das Fusionsdossier. Kann dies eine neue Dynamik auslösen?

Taina Bofferding: Als Innenministerin ist man immer froh, wenn Gemeinden fusionieren. Das kann anderen Gemeinden als Beispiel dienen, sieinspirieren und motivieren, den gleichen Weg einzuschlagen.

Luxemburger Wort: Wenn Sie die Bürger mit einem Argument von einer Fusion überzeugen müssten, welches wäre das?

Taina Bofferding: Ich würde ihnen erklären, dass die Fusion für die Bürger entsteht, ihnen eine bessere Verwaltung bescheren und neue Dienstleistungen anbieten kann. Das allesgemäß unserem Motto "Mateneen fir eng modern Gemeng", das nicht nur ein Slogan ist, sondern ein Programm beinhaltet. Die Fusion ist ein Mittel, eine Gemeindezeitgemäß und widerstandsfähig aufzustellen. Wie wichtig dies sein kann, wurde uns während der Pandemie vor Augen geführt.

Luxemburger Wort: Das Koalitionsprogramm ist dennoch vage und setzt auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Die Vergangenheit zeigt, dass damit kaum Fortschritte zu erzielen sind.

Taina Bofferding: Mit mir wird es keine Zwangsfusionen und keine neue Landkarte geben. Wichtig ist und bleibt, dass die Initiative von den Gemeinden selbst ausgeht und dass die Bürger von Beginn an mit im Boot sind. Ihnen muss das Gefühlvermittelt werden, dass eine Fusion für sie und mit ihnen verwirklicht wird. Deshalb ist auch angebracht, dass sich die Bürger via Referendum äußern. Es geht um das Prinzip der Partizipation.

Luxemburger Wort: Wie wollen Sie als Ministerin den Initiativgeist der Gemeinden fördern, ohne diese zu ihrem Glück zu zwingen?

Taina Bofferding: Wir werden nun eine Toolboxpräsentieren, die in anschaulicher und lebendiger Form das Themadarlegt. Darin werden die einzelnen Etappen erläutert und es wird anhand von Beispielen geschildert, wie Fusionsgemeinden die Aufgabe angegangen sind, worauf es dabei ankommt, unter anderem wie und wann man Einwohner und Gemeindepersonal einbezieht, und es wird von Bürgermeistern beschrieben, welche Aspekte es zu beachten gilt.

Luxemburger Wort: Was gilt es denn im Besonderen zu beachten?

Taina Bofferding: Die Beteiligung der Bürger. Siewollen von Anfang darüber informiert werden, dass ein Interesse zur Fusion besteht und sie wollen über die Vorteile dieser Fusion aufgeklärt werden. Damit einhergeht eine angemessene Kommunikation. Versammlungen sind wichtig, damit die Bürger sich direkt mit ihren Kommunalpolitikern austauschen können. Einer Fusion zugute kommen auch parallel dazu umgesetzte, gemeinsame Projekte, wie die Harmonisierung von Abfallgebühren.

Luxemburger Wort: Wobei, Stand 2021, Bürgerversammlungen in Corona-Zeiten eine echte Herausforderung sind.

Taina Bofferding: Ja, aber um das konkrete Beispiel Grosbous und Wahl zu nehmen, dort gibt man sich zuversichtlich, diese Veranstaltungen durchführen zu können. Als Termine sind vorläufig der 1. Juni und der 3. Juni vorgesehen; ich selbst habe meine Teilnahme bereits zugesagt, als Zeichen der Unterstützung. Sollte die Pandemie einen Strich durch die Rechnung machen, ist Kreativität gefragt und die Versammlungen müssen in kleinerer Runde organisiert werden, zum Beispiel in Vierteln oder mit Vereinen zusammen. Und man kann auf die digitale Kommunikation zurückgreifen, wobei gewährleistet werden muss, alle Generationen zu erreichen.

Luxemburger Wort: Ein Argument, das gegen Fusionen ins Feld geführt werden kann, sind interkommunale Syndikate. Der punktuelle Zusammenschluss ermöglicht es, den Bürgern Dienstleistungen anzubieten ohne die eigene Identität aufzugeben.

Taina Bofferding: Nun, man kann es auch andersbetrachten: Die Zusammenarbeit in einem Syndikat kann ein erster Schritt hin zu einer späteren Fusion sein, mit der man das Miteinander dann festigt und nachhaltig etabliert. Während das Syndikat eben die punktuelle Kooperation zum Ziel hat, ist eine Fusion nachhaltiger ausgerichtet. Das lässt sich ganz gut am Beispiel Nordstad beobachten, wo nach vielen gemeinsamen Erfahrungen, einer über Jahre gewachsenen Kooperation und gemeinsamen Kompetenz nun der nächste Schritt erfolgen soll. Es ist wie bei den Menschen: Zuerst verlobt man sich und irgendwann folgt dann die Ehe.

Luxemburger Wort: Ein größeres Fusionsprojekt ist die Nordstad. Im "Télécran" haben Sie sich kürzlich für deren zeitnahe Verwirklichung ausgesprochen. Was stimmt Sie optimistisch?

Taina Bofferding: Es gibt niemanden, der noch von diesem genialen Projekt überzeugt werden muss. Auch die Regierung steht dahinter, damit ein dritter Entwicklungspol neben der Hauptstadt und Esch/Alzette Wirklichkeit wird. Das zeigt beispielsweise das Nordstad-Lycée, das einmal 1 700 Schüler beherbergen soll und dessen Gesetzentwurf am Dienstag in der Chamber verabschiedet wurde. Die implizierten Gemeinden können auf eine lange Zusammenarbeit zurückblicken, so dass die Fusion nun der nächste logische Schritt ist. Es geht darum, für den Norden des Landes das bestehende Potenzial auszuschöpfen.

Luxemburger Wort: Wie will sich Ihr Ministerium konkret einbringen? In einem "Wort"-Interview wünscht sich die Bürgermeisterin von Bettendorf ein stärkeres Engagement.

Taina Bofferding: Generell steht das Ministeriumfusionswilligen Gemeinden bei juristischen und prozeduralen Fragen mit Rat und Tat zur Seite. Ein umfangreiches Projekt wie die Nordstad benötigt eine größere Aufmerksamkeit, weshalb wir den fünf Gemeinden Ansprechpartner für einen schnellen und unkomplizierten Kontakt zur Verfügung stellen wollen. Wir wollen schließlich unserer Beraterrollegerecht werden.

Luxemburger Wort: Als Knackpunkt einer Fusion kann sich das Geld erweisen. Da sagt das Koalitionspapier, dass die Unterstützung angehoben wird.

Taina Bofferding: Die staatliche Unterstützung spielt natürlich eine bedeutende Rolle, geht es doch darum, jene Projekte finanzieren zu können, von denen die Bürger im Zuge einer Fusion profitieren können. Wie im Koalitionsprogramm vorgesehen, wurde dieser Zuschuss bereits um zehn Prozent angehoben. Das ist in meinen Augen auch ein wichtiges Signal, dass die Regierung Fusionen unterstützt.

Luxemburger Wort: Mit der Reform des Gemeindegesetzes, in dem die Grundmissionen zeitgemäß definiert werden, bietet sich eine weitere Möglichkeit, Fusionen zu unterstützen und sanften Druck auf die Neugestaltung der kommunalen Landschaft auszuüben.

Taina Bofferding: Es gab im Sommer einen aufschlussreichen Austausch zu den Erfahrungen mit der Pandemie. Zum einen zeigt sich, dass kleinere Gemeinden andere Herausforderungen zu bewältigen haben, als die größeren Kommunen. Zum anderen zeigt sich, wie eine moderne Gemeinde funktionieren soll, beispielsweise über einen Kontinuitätsplan verfügen muss, um imstande zu sein, ihre Hauptmissionen zu erfüllen. Darüber hinaus lehrt uns die Krise, dass die Rollenverteilung zwischen Staat und Gemeinden präziser zu definieren ist. Das sind einige der Schlussfolgerungen, die in das neue Gesetz einfließen sollen und ich bleibe zuversichtlich, dass wir vor Ende der Legislaturperiode einen Gesetzentwurf im Parlament hinterlegen.

Luxemburger Wort: In dieser Legislaturperiode soll auch die Reform der Gemeindefinanzen auf den Prüfstand kommen. Inwieweit wird die Corona-Krise mit ihren finanziellen Folgen - in der circulaire budgétaire haben Sie auf zu erwartende Mindereinnahmen hingewiesen-, diese Prüfung beeinflussen?

Taina Bofferding: Für verlässliche Prognosen ist der jetzige Zeitpunkt noch etwas verfrüht. Anhand der Budgetplanungen für 2021 stellen wir aber fest, dass die Gemeinden weiterinvestieren wollen. Und das ist ein gutes Signal für ihre Bürger und für die Betriebe, die Aufträge erhalten. Auch deshalb war es mir wichtig, die Zuschüsse für die sogenannten kollektiven Einrichtungen anzupassen. Daneben haben wir uns mit Beginn der Pandemie im Intérieur derart aufgestellt, dass wir den Gemeinden eine Finanzberatung anbieten, um ihnen unter anderem die Optionen aufzuzeichnen, mit denen sie ihren Haushalt im Gleichgewicht halten. Als Ministerium selbst behalten wir dadurch einen Überblick über den Verschuldungsgrad in den Kommunen.

Luxemburger Wort: Wobei der Syvicol als Dachverband der Gemeinden seit längerem eine allgemeine Anhebung dieser Zuschüsse als überfällig erachtet.

Taina Bofferding: Hier sollten wir aber auch berücksichtigen, dass die Subsidien anhand der finanziellen Situation einer Gemeinde berechnet werden. Wer nicht so gut aufgestellt ist, darf eine höhere Unterstützung einkalkulieren. Da spielt das Solidaritätsprinzip und daran will ich auch festhalten.

Luxemburger Wort: Hohe Erwartungen in die Gemeinden setzt die Regierung mit der Neuauflage das Pacte logement. Ist es nicht illusorisch zu glauben, dass die vielen kleineren Kommunen imstande sind, der Verantwortung in der Wohnungsbaupolitik gerecht zu werden?

Taina Bofferding: Wir sind uns dieser Herausforderung bewusst und die Regierung weiß auch, dass sie auf die Unterstützung der Gemeinden angewiesen ist, um die Aufgaben im Wohnungsbau zu bewältigen. Deshalb sieht der neue Pacte logement auch eine Beraterfunktion vor, die jene Gemeinden beanspruchen können, die nicht überentsprechende Dienststellen oder Mitarbeiter verfügen. Dadurch soll es ihnen möglich sein, einen Aktionsplan auszuarbeiten. Denn wir benötigen mehr Flächen in öffentlicher Hand und wir benötigen mehr bezahlbaren Wohnraum.

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